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Die Zürcher Kammerphilharmonie - wo Talente zu Orchestermusikern von Weltformat reifen

Ein Gespräch mit Dr. Ulrich Stüssi, Präsident der Zürcher Kammerphilharmonie (ZKP): über eine in Europa einzigartige Talentschmiede, über die Mission, junge Musikerinnen und Musiker auf Spitzenorchester-Niveau zu bringen, über volle Wartelisten, gelebte Ensemblekultur – und über die Rückkehr vergessener Musik nach hundert Jahren.


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Dr. Ulrich Stüssi - Präsident der Zürcher Kammerphilharmonie

Welche Mission verfolgt die ZKP, und wie unterscheidet sie sich von anderen Orchestern in der Schweiz?

Die ZKP hat die Mission, junge Berufsmusiker in einem exzellenten Sinfonieorchester so zu fördern, dass sie nach einigen Jahren in ein international renommiertes Orchester berufen werden. Etwa die Hälfte der Mitglieder erreicht dieses Ziel. Die andere Hälfte überlässt mit etwa 36 Jahren jüngeren Berufsmusikern ihren Platz im Orchester. Die hervorragenden Musiker aus 28 Nationen haben alle in der Schweiz studiert und leben heute hier. Es gibt Wartelisten. Die systematische Förderung in der ZKP gilt als europaweit einzigartig. Zudem bringt das Orchester die Werke meines Grossvaters Fritz Stüssi (1874–1923) nach hundertjährigem Dornröschenschlaf wieder regelmässig zur Aufführung – darunter zwei Oratorien, Kantaten und Orchesterwerke. Diese sind in einem wunderschönen, spätromantischen Stil (etwa in der Tradition von Mendelssohn und Wagner) komponiert.


Was ist Ihre Rolle bei der ZKP, und wie sind Sie dazu gekommen?

Ich wollte nach meiner industriellen Tätigkeit dirigieren und gründete die ZKP – damals unter dem Namen „Orchester vom See“ – im Jahr 2011, im Alter von 66 Jahren. Nach sieben Jahren Dirigat und Intendanz (ich war der einzige Laienmusiker im Orchester) übergab ich den Dirigierstab an Dominic Limburg, einen der besten Jungdirigenten. Heute bin ich Intendant, Fundraiser und Mädchen für alles.


Dr. Ulrich Stüssi Dirigent
Dr. Ulrich Stüssi als Dirigent der Zürcher Kammerphilharmonie

Wie hat sich die ZKP über die letzten Jahre und Jahrzehnte entwickelt?

Die ZKP hat sich von einem Liebhaberorchester zu einem der führenden professionellen Projektorchester der Schweiz entwickelt. Dies ist dem Dirigenten Dominic Limburg, dem Konzertmeister Stefan Tarara und einer systematischen Steuerung aller Aktivitäten durch mich zu verdanken.


Was können sich junge, talentierte Musiker von den Profis der ZKP abschauen?

Wir richten uns an hervorragende Berufsmusiker, die einen Masterabschluss in der Schweiz erworben haben. Sie werden in ihren Fähigkeiten als Orchestermusiker gezielt gefördert. Die von uns geförderten jungen Menschen haben Biss: Sie wollen etwas erreichen, melden sich zum Vorspiel, um ständiges Mitglied zu werden, und lernen rasch von ihren älteren Kolleginnen und Kollegen.


Wie, denken Sie, kann die Begeisterung für klassische Musik und ihre Werke auch in Zukunft hochgehalten werden, und welche Rolle spielen dabei Ihre Konzerte?

Das weiss ich nicht. Wir spielen primär für unsere Musiker, die durch unsere Konzerte gefördert werden. Natürlich braucht es auch Konzertbesucher, die die Säle füllen. Leere Konzertsäle motivieren nicht.


 Konzertkalender der Zürcher Kammerphilharmonie


Sie fördern mit der ZKP immer wieder junge, talentierte Musiker aus der ganzen Welt. Was fasziniert Sie am meisten an der Zusammenarbeit und dem Austausch mit anderen Kulturen?

Ich freue mich über die Freundschaften, die sich unter den Musikern verschiedener Länder entwickeln und festigen. In der ZKP herrscht eine ausgezeichnete Atmosphäre. Die Musiker sind hilfsbereit, achten aufeinander und drängen sich nicht in den Vordergrund. Jede und jeder will das Beste geben und freut sich mit den anderen über eine gelungene Phrasierung. Musiker, die alles besser zu wissen glauben und auch sonst negativ auffallen, werden nicht mehr aufgeboten. Eine gute Atmosphäre ist für hohe Qualität im Musizieren unerlässlich.


Was, denken Sie, sind die grössten Herausforderungen für Musiker heutzutage? Welchen wichtigen Beitrag leistet die ZKP zur Verbesserung der Situation?

Ausländische Musiker: dass sie vor der Berufung in ein renommiertes Orchester genügend Auftrittsmöglichkeiten erhalten und dafür angemessen bezahlt werden. Schweizer Musiker: dass sie mehr Biss entwickeln.


Die Zürcher Kammerphilharmonie
Das Orchester der Zürcher Kammerphilharmonie (Foto: Marc Faistauer)

Warum, denken Sie, haben ausländische Musiker mehr Biss als die Schweizer, und wie macht sich das im ZKP-Alltag sichtbar?

Die Schweizer Hochschulen nehmen nur die Besten – und das sind kaum mehr Schweizerinnen und Schweizer. Für viele Ausländerinnen und Ausländer ist der Musikerberuf mit sozialem Aufstieg verbunden; in der Schweiz sind die jungen Menschen deutlich besser gebettet.


Viele Musiker arbeiten in Portfolio-Karrieren: Sie unterrichten, arbeiten an Schulen und spielen in Orchestern. Wie, denken Sie, befruchten sich diese Tätigkeiten gegenseitig?

Vor der Berufung in ein renommiertes Orchester haben junge Berufsmusiker oft keine andere Möglichkeit: Sie müssen ihren Lebensunterhalt verdienen.


Welche wichtigen Projekte stehen für 2025 an, und welche Ziele haben Sie mit der ZKP noch nicht erreicht?

Im Oktober spielen wir Beethovens 9. Sinfonie. Die Regelung meiner Nachfolge als Intendant und Fundraiser ist mein wichtigstes Ziel, das ich mit allen Mitteln zu erreichen versuche.


Wo würden Sie die ZKP in 20 Jahren gerne sehen?

Da ich über 80 Jahre alt bin, sollte diese Frage an meine Nachfolger gerichtet werden. Vielleicht gibt es die ZKP dann nicht mehr, weil in der Zwischenzeit das Geld ausgegangen ist oder keine Nachfolge etabliert werden konnte. Schön wäre, wenn sie weiterhin als eines der führenden professionellen Projektorchester junge Berufsmusiker auf in Europa einzigartige Weise fördert – jedoch im Unterschied zu heute mit hohem Bekanntheitsgrad, entsprechend höherer staatlicher Unterstützung sowie mit Auftritten an Festivals und in Konzertreihen städtischer Veranstalter.


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